Der 1. April 1990 war für das Medienland NRW ein besonderer Tag. Die deutsche Radiolandschaft wurde um eine einzigartige Konstruktion bereichert – das sogenannte Zwei-Säulen-Modell. Zum 25. Geburtstag der derzeit 45 Lokalradios lohnen sich daher ein Rückblick und eine Ist-Analyse, denn es geht um nicht weniger als die Bestandssicherung des Systems für die Zukunft.
Einfach war der Weg zum Zwei-Säulen-Modell nicht, denn die damals von Ministerpräsident Johannes Rau geführte Landesregierung und die SPD-Landtagsfraktion hatten lange mit der Opposition zu ringen. Nach 60-stündiger Beratungszeit wurde 1987 das Landesrundfunkgesetz verabschiedet.
Die Vorbehalte und Kritik an dem „Experiment“, wie Johannes Rau es selber nannte, waren groß. Es gab die Befürchtung, dass durch die neuen Lokalradios die Existenz der örtlichen Tageszeitungen gefährdet sein könnte und die zur Verfügung stehenden Frequenzen nicht ausreichen würden.
Keine Frage: die gefundene Konstruktion unter Beteiligung der NRW-Verleger, des Westdeutschen Rundfunks, der Kommunen und Veranstaltergemeinschaften war ein Novum und für Außenstehende anfangs nicht leicht zu durchschauen.
Warum brauchte NRW ein Zwei-Säulen-Modell?
Die Frage nach dem „Warum brauchte NRW damals ein Zwei Säulen Modell?“ drängt sich förmlich auf und im Hinblick auf bestehende Lösungen in anderen Bundesländern war und ist diese Frage berechtigt.
Vor mehr als 25 Jahren hatte der Gesetzgeber mehrere Ziele:
- Er wollte flächendeckenden privaten lokalen Hörfunk ermöglichen und damit sowohl publizistische als auch wirtschaftliche Dynamik im Lokalen stärken.
- Dabei sollte die vielfältige Medienlandschaft im einwohnerreichsten Bundesland mit ihren seit Generationen aktiven Verlagshäusern nicht geschwächt werden.
- Gleichzeitig sollten lokale Meinungsmonopole verhindert werden, die durch eine zu enge publizistische Verzahnung zwischen lokalem Hörfunk und Zeitungsredaktion hätten entstehen können.
- Außerdem sollte die nichtkommerzielle Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger am lokalen Hörfunk-Programm ermöglicht werden.
- Die ehrgeizigen Programmgrundsätze sollten den lokalen Hörfunk auf das Gemeinwohl verpflichten.
Programmverantwortliche Veranstaltergemeinschaften, die flächendeckende Versorgung im Land sowie Sendezeit für die Bürgermedien wurden zur politischen Grundlage, den lokalen und regionalen Verlagshäusern den gesetzlichen Vorrang bei der wirtschaftlichen Betätigung im lokalen Werbemarkt zu ermöglichen.
Das „Zwei Säulen- Modell“ war geboren und die Trennung zwischen Programmverantwortung und Finanzierung gewährleistet.
Die Sicherung der Binnenpluralität sei nach dem damaligen Kenntnisstand das Höchstmaß an Demokratie, das im Rundfunkbereich möglich sei, so formulierte es der SPD-Medienpolitiker Reinhard Grätz damals und Jürgen Büssow (SPD) sprach von kultureller Bereicherung NRWs durch das neue lokale Radio.
Ist das Experiment gelungen?
Die anfänglichen Bedenken sind ausgeräumt, es ist schon – fast zu viel – Alltag eingekehrt und viele Entscheidungen und Weichenstellungen haben sich als richtig erwiesen.
Doch es besteht – wie könnte es nach 25 Jahren und angesichts großer Umwälzungen in der Medienbranche anders sein – Handlungsbedarf.
Um die Situation des Lokalradio-Marktes in NRW besser verstehen zu können, lohnt ein genauer Blick auf die Konstruktion und Zusammenhänge zwischen dem Rahmenprogrammanbieter und den einzelnen Lokalsendern.
Das Rahmenprogramm liefert radio NRW
Neben dem Westdeutschen Rundfunk mit seinen Sendern 1LIVE, WDR2, WDR 3, WDR4, WDR5 und Funkhaus Europa entstand 1990 das erste der heute 45 privaten Lokalradios – Radio DU, heute Radio Duisburg. Im gleichen Jahr wurde die radio NRW GmbH als Rahmenprogrammanbieter für alle Lokalradios ins Leben gerufen und liefert aus Oberhausen Inhalte wie Nachrichten, Musik, Beiträge, Comedy oder ganze Sendestrecken außerhalb der Sendezeiten des Lokalfunks.
Ebenso erfolgt die nationale und landesweite Vermarktung zentral und Erlöse werden nach einem speziellen Schlüssel auf die Stationen ausgeschüttet. Die lokale Vermarktung übernimmt jeder Sender selbst und regionale Werbeeinnahmen werden durch gemeinsame Serviceunternehmen der Betriebsgesellschaften generiert.
Die Gesellschafter der radio NRW GmbH sind der WDR (24,9%), die RTL Radio Deutschland (16,1%) und die Pressefunk Nordrhein Westfalen (59%). An letzterer sind wiederum die Funke Mediengruppe (21,7%), Axel Springer (12,4%), Dumont Funk und Fernsehen (9,9%), die Rheinische Post (8,2%) sowie 33 weitere Verlage beteiligt.
Die Beteiligung des vermeintlichen Konkurrenten WDR war bereits zu Beginn – und auch heute noch – Anlass für Kritik. Begründet wurde die Entscheidung mit dem Kompetenzgewinn hinsichtlich technischer und organisatorischer Fragen.
Erfolgreiche Lokalstationen
In der Summe sind die Lokalstationen mit radio NRW das reichweitenstärkste Radioprogramm in Deutschland und es erreicht im Schnitt am Tag um die 6,7 Mio Hörerinnen und Hörer.
Aktuell existieren in den 54 kommunalen Gebietskörperschaften in NRW insgesamt 45 Lokalradiostationen in 46 Verbreitungsgebieten.
Die Programmdauer der Lokalstationen ist auf mindestens acht Stunden täglich, bzw. je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit fünf Stunden festgelegt. Bereits 1989 hatte die damalige Landesanstalt für Rundfunk nach entsprechenden Gutachten und Beratungen die Verbreitungsgebiete und die jeweilige Programmdauer vorgegeben. Dabei orientierte sie sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und an zusammenhängenden Kommunikations-, Kultur- und Wirtschaftsräumen sowie an den kommunalen Gebietsgrenzen.
Klar getrennte Verantwortung
Bei jedem der Sender sind die Verantwortungsbereiche klar getrennt. Die Veranstaltergemeinschaft (VG) hat als rechtlich selbstständiger Verein die Lizenz und damit die Programmhoheit und ist Arbeitgeber für das redaktionell beschäftigte Personal. Die Betriebsgesellschaft (BG) hat die wirtschaftlichen Interessen des Senders im Blick und vermarktet die Werbezeiten. Diese, nicht immer spannungsfreie Koexistenz, lässt Gemeinwohlorientierung auf Gewinnorientierung treffen und verlangt daher nach klaren vertraglichen Vereinbarungen, starken Chefredakteuren als Bindegliedern zwischen VG und BG, zeitgemäßer Infrastruktur, Transparenz und nicht zuletzt gutem Programm.
Zur Zulassung einer VG durch die Landesanstalt für Medien muss der eingetragene und nichtkommerzielle Verein viele gesellschaftlich relevante Gruppen vor Ort als Mitglieder vereinen. Diese bunte Mischung aus Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Sportvereinen, Vereinigungen von Migranten, u.a. sorgt für Vielfalt, lokale Nähe und Identität.
Die benötigten finanziellen Mittel werden durch die „zweite Säule“, den Betriebsgesellschaften, organisiert. Da die Refinanzierung nahezu ausschließlich durch Werbeeinnahmen erfolgt, sehen sich die beteiligten Zeitungsverleger und Kommunen in den letzten Jahren durch Einnahmeverluste unter Druck. Dies wird auch mit der gestiegenen Wettbewerbssituation gegenüber dem WDR begründet.
Eine weitere Besonderheit des Lokalradios in NRW ist der Bürgerfunk, der den Auftrag hat, das lokale Informationsangebot zu ergänzen und den Erwerb von Medienkompetenz zu ermöglichen. Eine tägliche Sendezeit (60 Minuten) ermöglicht Bürgerfunkgruppen die Ausstrahlung ihrer Sendungen.
Eine zeitgemäße Anpassung wird notwendig
Zurück zu der Frage: „Ist das Experiment gelungen und wo besteht Optimierungsbedarf, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein?“
Für die SPD-Fraktion im Landtag NRW ist das private Radiosystem neben dem öffentlich-rechtlichen WDR ein wichtiges Erfolgsmodell für die Medienvielfalt in unserem Bundesland.
Zum 25. Geburtstag hatte die SPD-Landtagsfraktion daher Mitte April alle Akteure zu einem Workshop in die geschichtsträchtige Villa Horion eingeladen, um über die Zukunftsfähigkeit des Lokalfunks zu sprechen. Die Villa Horion war seinerzeit das Gebäude, in dem die Staatskanzlei Raus untergebracht war – und in dem wesentliche Eckpunkte des Gesetzes ausgehandelt worden waren. Gemeinsam diskutierten Vertreter vom Verband lokaler Rundfunk, vom Verband der Betriebsgesellschaften und vom Verein der Chefredakteure mit Journalistenverbänden sowie Vertretern der Medienkommission der LfM und dem NRW-Medienstaatssekretär Dr. Marc Jan Eumann.
Bei dem Workshop lag der Schwerpunkt der Diskussion auf der Analyse von aktuellen Marktgegebenheiten, zusätzlichem gesetzlichen Regulierungsbedarf, wirtschaftlichen Herausforderungen und strukturellem Anpassungsbedarf im System. Der Umgang mit Digitalisierungsthemen, eine gemeinsame Austauschplattform, veränderte Nutzungsverhalten der Zielgruppe durch Angebote im Internet, der Rolle des WDR auf dem Werbemarkt und der Umgang mit der Entscheidung der Medienkommission zugunsten von „Metropol FM“ für die neue private Hörfunkkette in NRW, kamen zur Sprache.
Es stellt sich nach dieser ersten Diskussion die Frage, wie das System zukunftsfest gemacht werden kann.
Neues Landesmediengesetz stärkt die Lokalradios
Die Politik in NRW hat bereits mit der Novellierung des Landesmediengesetzes im Jahr 2014 positive Neuerungen für das Lokalfunksystem auf den Weg gebracht: Frei werdende Frequenzen, die vormals automatisch dem WDR zufielen, kommen zukünftig dem privaten Hörfunk zugute.
Die Zusammensetzung der Veranstaltergemeinschaften wurde um neue gesellschaftliche Gruppen erweitert.
Die VGs erhielten zudem mehr Kompetenz bei den Internetaktivitäten der Lokalsender.
Durch die Gründung der neuen Stiftung „Vielfalt und Partizipation“ bei der LfM soll u.a. die Qualität im lokalen Journalismus weiter verbessert werden.
Die Meinungsvielfalt wurde mit geänderten Zeiten für die Bürgerfunker verbessert.
Im nächsten Schritt geht es bei der anstehenden Novellierung des WDR-Gesetzes auch darum, weitere Möglichkeiten zur Sicherung des Lokalfunks zu prüfen. Die Onlinekonsultation – unter wdrgesetz.nrw.de – bietet hierbei einen guten Einblick in die gestellten Forderungen.
Der Medienmarkt ist in Bewegung. Die Hörgewohnheiten haben sich verändert und neue technische Möglichkeiten bieten die Chance, die lokale Identität der Lokalsender weiter zu verbessern.
Unter dem Trend von weniger lokalen Zeitungsredaktionen und der damit verbundene Ausdünnung von lokaljournalistischen Angeboten wird immer deutlicher: das Lokalradio muss eine zentrale Rolle für die Meinungsvielfalt vor Ort spielen.
Daher braucht das System gute Konzepte, damit die Hörer bleiben und Werbetreibende das Lokalradio als Plattform nutzen. Alle Akteure sind gefordert Ideen einzubringen damit das „Experiment“ weiterhin ein Erfolgsmodell bleibt.
Dieser Text erschien in einer leicht gekürzten und redigierten Fassung in der Zeitschrift promedia, Ausgabe Juni 2015.